Kultur
Science-Fiction-Komödie von Alan Ayckbourn im Staatstheater Kassel
Schräg, unterhaltsam & geistreich
(Quelle: N.Klinger)
GDN -
Mit “Ab jetzt“ von Alan Ayckbourn bringt das Staatstheater Kassel eine schräge Science Fiction-Komödie auf die Bühne (Theater im Fridericianum). Eine weitestgehend gelungene Inszenierung, bei der das überzeugende Ensemble zurecht viel Applaus erhält.
Der Komponist Jerome hat seine Wohnung in eine Art Bunker, in dem er vor plündernden Banden Schutz findet, umgestaltet. Kontakt zur Außenwelt hält er lediglich vereinzelt über ein Bildtelefon aufrecht. Doch selbst auf Anrufe reagiert er kaum noch. Die Stahlwände der Wohnung bieten ihm nicht nur Schutz vor dem Terror, der draußen auf den Straßen wütet, sondern auch vor Emotionen - den Emotionen anderer Menschen sowie den eigenen. Mithilfe von Maschinen und Robotern meistert Jerome sein tristes Leben. Seine Tage verbringt er mit der Suche nach dem Sound für ein perfektes, endgültiges Liebeslied, ohne dass er selbst noch Liebe empfinden kann.
1987 hat der britischer Autor Alan Ayckbourn, aus dessen Feder mehr als 70 Theaterstücke stammen, “Ab jetzt“ verfasst. In seinen Stücken werden, oftmals in überzeichneter, humorvoller Weise, die menschlichen Unzulänglichkeiten miteinander zu kommunizieren und sich zu verständigen beleuchtet. Ein Thema, das er in “Ab jetzt“ auf eine absurde Spitze getrieben hat. Doch den Erfolg manch anderer seiner Stücke, genannt sei nur die wunderbare Weihnachtskomödie “Schöne Bescherung“, die auch in Kassel vor einigen Jahren das Publikum begeistert hat, konnte Ayckbourn mit seiner, in der Zukunft liegenden, Geschichte nicht erreichen.
Nach der Berliner Uraufführung im Jahr 1989 - mit dem kürzlich verstorbenen Otto Sander in der Rolle des Jerome und Harald Juhnke als sein Freund Lupus -, tauchte das Stück nur sporadisch auf den Spielplänen deutscher Theater auf. Einer der Gründe dafür könnte das Genre “Science Fiction“ sein, das zwar im Kino großartig funktioniert, am Theater hingegen auf Schwierigkeiten stößt.
Während das Medium Kino hervorragend die Welt des Möglichen darzustellen vermag, scheint Theater eher prädestiniert zu sein, die Wirklichkeit im Hier und Jetzt abzubilden oder aber einen Blick in die Vergangenheit, den uns vor allem die Klassiker von Shakespeare bis Goethe bieten, zu werfen. Manche großen Autoren, wie Samuel Beckett oder Eugène Ionesco, lassen ihre Stücke in einer Art undefinierten “Parallel-Zeit“ spielen. Die Darstellung vom Zukünftigen taucht im Theater hingegen selten auf. Doch handelt es sich bei “Ab jetzt“ auch um eine Komödie und als solche funktioniert das Stück gut.
Der Autor zeigt uns das Resultat einer Entwicklung, welche das Individuum überfordert und letztlich entmenschlicht. Jerome hat zwischenmenschliche Kontakte nahezu vollständig durch den Roboter GOU 300F ersetzt, wobei dieser Prototyp eines Kindermädchens, im Laufe des Stückes oftmals menschlicher wirkt, als sein Besitzer. Dieser befindet sich seit Jahren in einer schöpferischen Krise. Zwar speichert er obsessiv alle ihn umgebenden Geräusche, um das angestrebte Liebeslied zu konstruieren, doch ohne seine einstige Muse, seine Tochter Geain, scheint er zu keiner schöpferischen Arbeit mehr in der Lage zu sein.
Bei dem angekündigten Besuch der Sozialbehörde soll nun über den Aufenthalt der Tochter neu entschieden werden. Um dem zuständigen Beamten ideale häusliche Verhältnisse vorzutäuschen, engagiert Jerome eine Schauspielerin. Diese soll die Rolle der Lebensgefährtin übernehmen und somit platzt eines Tages Zoe in sein tristes Leben. Ein leibhaftiger Mensch mit geradezu überbordenden Emotionen. Zoe ist spontan, überschwänglich, anstrengend, neurotisch, sensibel, trotzig, unmittelbar, nervig und verführend zugleich.
Regisseur Martin Schulze gelingt es in seiner Kasseler Inszenierung, die Balance zwischen Komödie, mit zum Teil schrillen - für manchen Geschmack vielleicht zu schrillen - Slapstickelementen und düsteren Endzeitvisionen zu halten. Herauszustellen ist die bemerkenswerte Videoperformance von Kim Asendorf sowie das bestechende Sounddesign von Dirk Raulf.
Die mitwirkenden Schauspieler können allesamt überzeugen. Enrique Keil ist eine ideale Besetzung für den entrückten, genialen Künstler Jerome. Herauszustellen ist ferner Caroline Dietrich, die erst seit der aktuellen Spielzeit als festes Ensemblemitglied dem Staatstheater Kassel angehört. Im Verlaufe des Abends spielt sie sich zunehmend in die Herzen der Zuschauer, indem sie dem Stück ihr Tempo aufdrückt und überaus lustige Moment schafft, wenn sie beispielsweise ihren realen Schauspielberuf karikiert. Man darf gespannt sein, sie demnächst in weiteren Rollen, auf der Kasseler Bühne zu erleben.
“Ab jetzt“ ist eine schräge Farce, die zu unterhalten weiß, stellenweise überaus komisch ist und dabei viele lohnenswerte Fragen aufwirft. So geht es offenkundig um die Beziehung von Mensch zur Maschine. Die Technik scheint dem Menschen in mancherlei Hinsicht überlegen zu sein. Sie ist berechenbarer und schützt vor Konflikten, macht den Menschen aber gleichzeitig auch ärmer und einsamer. Es geht auch um die Rolle des Künstlers in seiner Welt, die er sich zunutze machen muss, um gleichzeitig mit ihr zu interagieren.
Zum Abschluss gibt es viel Applaus für das Ensemble. Auch wenn es sich bei “Ab jetzt“ vielleicht nicht um den größten Wurf in Ayckbourns langer Autorenlaufbahn handelt, so ist es doch schön, dass das Staatstheater Kassel mit diesem fast vergessenen Juwel ein, in der Theaterwelt, nicht alltägliches Genre präsentiert. Karten für weitere Vorstellungen sind an der Kasse des Staatstheaters Kassel (Tel.: 0561/1094-222) oder online unter www.staatstheater-kassel.de erhältlich.
weitere Informationen: https://www.staatstheater-kassel.de
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